Unsere Kinder
Moritz:
Im April 2007 fiel uns das erste Mal auf, dass irgendetwas mit Dir nicht stimmt. Du kamst schmatzend zu mir, dabei lief Dir Speichel aus dem Mund. Ich dachte Du müsstest brechen. Ich lief schnell mit Dir zur Toilette und hielt Dich über das Klo. Nach kurzer Zeit sagtest Du: „Ich muss nicht brechen“. Und dann wieder dieser Spuk auch schon wieder vorbei.
Am Sonntagmorgen, den 29.04.07 sollten wir dann erfahren, was mit Dir los ist.
Wir wollten zu einer Freundin frühstücken fahren. Wir waren bereits angezogen und startklar, als Du im Wohnzimmer zu mir sagtest, das Du Dich mal eben auf die Couch setzten würdest. Ich ging nach oben, hatte da noch etwas zu erledigen, als Du plötzlich neben mir standest.
Du hast mir vor mein Bein gehauen. Papa sagte zu mir: „Sprich ihn mal an“. Ich ging in die Hocke und sah nur noch das weiße in Deinen Augen. Du konntest nicht sprechen, hast immer wieder versucht Mama zu sagen. Ich fragte Dich ob Dir etwas weh tun würde. Da hast Du mit dem Kopf geschüttelt. Ich setzte mich mit Dir auf mein Bett und wartete bis der Anfall (wir wissen jetzt dass das ein epileptischer Anfall war) vorüber war. Ich denke es dauerte ca. 1 Minute. Du hast dabei gezittert und konntest Dein Auto gar nicht festhalten und hast es fallen gelassen. Schnell war Papa und mir klar, hier stimmt was ganz und gar nicht. Wir riefen den Krankenwagen und sagten natürlich das Frühstück ab. Der Arzt war innerhalb kürzester Zeit da. Als er kam, warst Du schon fast wieder „normal“. Müde warst Du. Sie haben Dir u.a. Blut abgenommen und von einem Krampfanfall gesprochen. Was ist denn das, habe ich mir noch gedacht, mir aber keine weiteren Gedanken dazu gemacht. Die Ärzte und Rettungssanitäter waren total nett und haben versucht die angespannte Situation aufzulockern, indem sie Lukas gefragt haben, ob er gerne Fußball spielt. Opi hat Lukas dann abgeholt. Ich bin mit dem Krankenwagen und Dir ins Klinikum Wedau gefahren. Papa ist kurze Zeit später nach gekommen. Dort angekommen, wurdest Du untersucht, d.h. Dir wurde Blut abgenommen und mir wurden ganz viele Fragen gestellt. Auch hier warst Du noch sehr müde.
Im Anschluss wurden wir auf ein 4-Bettzimmer (!) gebracht. Hier haben wir uns erst mal häuslich niedergelassen. Es dauerte jetzt nicht mehr lange und du warst wieder der alte, lebhafte Ritze. Wir haben gemeinsam gespielt und auf Papa gewartet.
Am Montag, den 30.04.2007 wurde dann das erste EEG geschrieben. Du warst so super tapfer und mutig. Hast bisher alles über Dich ergehen lassen. Du bekamst zuvor einen Saft, der Dich ein wenig müde machen sollte. Hat auch funktioniert. Nach einigen Minuten bist Du eingeschlafen.
Nach der Untersuchung hast Du erst mal einen Mittagschlaf gehalten.
Papa und ich haben währenddessen mit Frau Dr. Weber gesprochen. Sie sagte, dass Du Epilepsie hast, Pseudo- Lennox – Syndrom. Bis zu diesem Tag wusste ich noch nicht mal wie Epilepsie überhaupt geschrieben wird.
Du wurdest sofort medikamentös eingestellt. Die Zauberpille sollte Ospolot heißen. Die ersten Tage sah alles ganz toll aus. Du schienst anfallsfrei und das EEG war auch besser. Fr. Dr. Weber erhöhte die Dosis noch mal und wir konnten wieder nach Hause gehen. Am 03.05.07 wurden wir aus der Klinik entlassen. Die ersten Tage unter Ospolot haben Dich sehr müde gemacht und Du wirktest irgendwie apathisch und ich dachte: „Das soll es jetzt gewesen sein? Wo ist mein alter Ritze?“ Doch diese Müdigkeit ließ schnell nach und Du wirktest dankbar, interessiert und ausgeglichen.
Am 09.05.2007 waren wir wieder zum EEG und Frau Dr. Weber war von dem EEG- Befund ganz begeistert. Sie meinte, das sei schon fast ein Wunder. Guter Dinge und total erleichtert fuhren wir nach Hause.
Am 15.05.2007 stand dann ein MRT an. Hier wurdest Du in eine große Röhre geschoben, in der Schichtaufnahme von Deinem Gehirn gemacht wurden. Es ging darum ob eine organische Schädigung Deines Gehirns vorliegt. Zuvor bekamst Du eine Narkose, denn wichtig ist bei dieser Untersuchung, dass Du ganz still liegen musstest. Du hast sofort geschlafen und die Untersuchung konnte beginnen. Wir durften dann erfahren, dass mit Deinem Gehirn alles in Ordnung ist.
Somit stand uns ein unbeschwerter Sommer bevor. Im Juli sind wir alle sechs nach Mallorca geflogen. Dort fiel Papa und mir auf, dass Du oft hinfällst. Auch wieder zu Hause angekommen, bist Du oft gefallen und hast manchmal mit dem Gesicht gezuckt.
Somit waren wir am 17.07.2007 wieder bei Fr. Dr. Weber und unser Verdacht sollte sich bestätigen. Das EEG war nicht so gut wie im Mai und deshalb kam das Medikament Frisium hinzu.
Am 03.09.2007 waren wir wieder in Wedau. Und auch dieses EEG war nicht berauschend und die Medikamentendosis wurde erhöht. Ich merkte so langsam, dass sich der Krankheitsverlauf doch nicht so spaßig entwickelte, wie wir es im Mai dachten. Wo war die Zauberpille?
Auch im Kindergarten häuften sich die Beschwerden der Erzieherinnen. Du würdest oft andere Kinder hauen. Ich war total traurig. Somit schrieben wir einen Brief, vielmehr Papa – der König des Schreibens, an die Eltern und Erzieher. In diesem Brief berichteten wir von Deiner Krankheit, den Medikamenten und damit verbundenen Nebenwirkungen.
Trotzdem kam irgendwann der Gedanke auf, den Kindergarten zu wechseln. Ein heilpädagogischer oder integrativer Kindergarten sollte es sein. Hier gibt es kleinere Gruppen und Du hättest vielleicht weniger das Gefühl nicht „normal“ zu sein. Somit habe ich Dich in 4 verschiedenen Kindergärten angemeldet damit Du die optimale Förderung bekommst. Apropo Förderung!
Du machst jeden Mittwoch Ergotherapie und Dienstags Logopädie ( Sprachtherapie) und schwimmen. Donnerstags gehst Du Turnen.
Am 02.10.2007 waren wir dann wieder zum EEG bei Frau Dr. Weber. Papa und ich hatten häufig beobachtet, dass Du stolperst, mit dem Gesicht zuckst, ins Leere starrst oder die Augen verdrehst.
Das EEG war absolut niederschmetternd und die bisherige Medikation sollte ausgeschlichen werden und Keppra ( der neue Zaubersaft), eingeschlichen werden ( so nennt man eine Medikamentenumstellung auch). Keppra hat Dich ganz unruhig und zappelig gemacht. Wirklich helfen sollte es auch nicht.
Seit Oktober bekommst Du nun Ergenyl. Hat leider auch nicht geholfen. Also hat Frau Dr. Weber Verstärkung in petto gehabt. Nämlich, Topamax. Aber mit diesen Kapseln konntest Du immer schlechter sprechen. Hast immer wieder einzelne Wörter wiederholt bis der Satz endlich draußen war. Du warst so heldenhaft in der Zeit. Du hast jeden Satz zu Ende gesprochen, und wenn Du noch so lange gebraucht hast. Naja, nach kurzer Zeit kam Topamax dann wieder raus und Lamictal kam als Verstärkung zum Ergenyl dazu. Deine Sprache wurde ganz schnell besser, aber das EEG nicht.
Am 12.02.2008 sind wir beide ins Epilepsiezentrum nach Bielefeld Bethel gefahren. Dort habe ich das Wunder erwartet, wurde aber schnell eines besseren belehrt. Aber es war trotz allem Traurigem eine schöne Zeit dort.
Wir hatten viele nette Eltern mit ihren Kindern kennen gelernt. Wir waren viel draußen spazieren, Enten füttern, auf dem Spielplatz, Trampolin hüpfen, reiten und hatten jede Menge Zeit zu zweit.
Entlassen wurden wir am 13.03.2008. Seitdem nimmst Du morgens 400 mg Ergenyl und 150 mg Lamictal. Abends 400 mg Ergenyl, 50 mg Lamictal und 15 mg Frisium.
Seit März 2008 engagieren Papa und ich uns in der Selbsthilfegruppe. „Epi-Kids Duisburg“. Diese haben wir gemeinsam mit Frau Dr. Weber gegründet. Wir treffen uns einmal im Monat zum Austausch mit anderen Eltern deren Kinder ebenfalls an Epilepsie erkrankt sind.
Ein Kontroll EEG am 29.04.2008, wieder in Bethel, zeigte keinen Befund mehr. Das heißt, Dein EEG war völlig normal. Wir können es alle gar nicht glauben, auch nicht die Ärzte. Wir genießen nun diesen Zustand und freuen uns mit Dir!
Du bist nun auch stolzer Besitzer eines blauen Reha Buggys. Lange Ausflüge und Spaziergänge waren zu anstrengend für Dich.
Seit August gehst Du nun in einen heilpädagogischen Kindergarten und es klappt prima!!
Du bist derzeit wieder an Deiner Umwelt interessiert und wirkst ausgeglichener. Lediglich wenn Du nicht in Deinem sicheren Umfeld bist, dort viele Menschen sind, die evtl. auch noch etwas von Dir erwarten, fällst Du in alte Verhaltensweisen zurück. Dein persönlicher Schutz ist in die Rolle eines Bären zu schlüpfen. Dieses Tier ist groß und stark und scheint Dir Schutz zu geben. Oft kündigst Du z.B. vor Arztbesuchen an, das Du gleich wieder der Bär ist. Dann brüllst Du ganz laut und streckst die Arme in die Luft.
Im September 2008 sollten wir dann auch erfahren was hinter Deinem oft so anstrengenden Verhalten steckt. Ich hatte Frau Dr. Weber erzählt das Du Dich gar nicht weiter entwickelst. Dir keine Farben und Zahlen merken kannst. In Deiner oft eigenen Sprache sprichst. Dich nicht gerne anfassen lässt und oft geräuschempfindlich bist. Das Du es ganz schlecht aushalten kannst wenn wir an einem Ort sind wo es laut ist und dort viele Menschen sind.
Das Du immer die gleichen Fragen stellst und die gleichen Spiele spielst…..
Autismus!
Bald wirst Du eine spezielle Therapie machen. Wir warten weiter ab…..denn das EEG ist auch nicht mehr so toll wie im April....